Wertschöpfung in Märkten kann viele Formen annehmen. Der Mehrwert, den sie produziert, kann neben dem ökonomischen auch ein sozialer und ökologischer sein. In einem nachhaltigen Markt ist der Mehrwert alles drei: die ökonomische, soziale und ökologische Wertschöpfung. Dieser Mehrwert steht auch von Beginn an im Zentrum des Entwicklungsprozesses des Konzepts der Grünen Marktwirtschaft.
Die Aufgaben Grüner Wirtschaftspolitik
Auf der Fraktionsklausur im Januar 2006 stellten Matthias Berninger, Fritz Kuhn, Thea Dückert, Christine Scheel, Gerhard Schick, Brigitte Pothmer und Margareta Wolf ein Diskussionspapier erstmalig unter dem Titel „Grüne Marktwirtschaft“ vor. Darin analysierten sie die Wirtschaftspolitik der rot-grünen Regierung und der derzeitigen großen Koalition und die daraus folgenden gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben der Grünen Wirtschaftspolitik. Grundsätzlich befindet sich die Weltwirtschaft ebenso wie die deutsche Volkswirtschaft in einem Paradigmenwechsel. Die Rollen von Markt und Staat in nachhaltiger Entwicklung haben sich verschoben. Denn einige Marktteilnehmer selbst haben inzwischen Geschäftsmodelle und Angebote entwickelt, die einen Mehrwert aus ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit schöpfen.
Insofern muss und kann auch ein neuer Ansatz kooperativer Governance alte Vorstellungen staatlicher Top-Down-Regulierung von Märkten ersetzen. Selbständige und eine Kultur der Selbständigkeit in allen Bereichen der Gesellschaft und besonders in der Entwicklung neuer Märkte und Arbeitsplätze spielen dabei eine Schlüsselrolle. „Wer in der Lage ist, globale Vernetzung mit lokaler Verantwortung, unternehmerischen Wettbewerb mit Kooperation über die Grenzen von Unternehmen und Märkten hinaus zu verbinden, wird die Herausforderungen der Zukunft meistern. Wer sich im neuen Spiel ohne Grenzen behaupten und Weltklasse-Standards setzen will, muss in der Lage sein, kreative Konzepte und innovative Lösungen in Kooperation mit anderen Sektoren zu entwickeln,“ heißt es in dem Diskussionspapier „Grüne Marktwirtschaft“.
„Mehr Wert! Grüne Marktwirtschaft“
Im November 2006 folgte der Wirtschaftskongress „Mehr Wert! Grüne Marktwirtschaft“ der Grünen Bundestagsfraktion. Ein gleichnamiges Positionspapier diente zur Vorbereitung und als Grundlage für die öffentliche Debatte. Schon im Vorlauf der Konferenz wurde dieses Papier heiß in der Presse diskutiert. Die Einen wollten die Marktnähe der Grünen nicht anerkennen, die Anderen wollten die Grünen gar nicht erst in Marktnähe kommen lassen. Die Idee, dass ökologische Angebote sich nicht trotz, sondern durch den Markt würden durchsetzen können, schien revolutionär zu sein. Denn: „Im Markt konkurriert eine große Zahl von Unternehmen um die Entwicklung der besten Lösung. Der funktionierende Markt ist daher das effizienteste Suchverfahren für Innovationen.“
Grüne Marktwirtschaft nutzt den Marktmechanismus für nachhaltige Entwicklung und nutzt die Potenziale von und für innovative Unternehmen in der nachhaltigen Entwicklung von Märkten. In dem AutorInnen-Papier wird das Konzept anhand von zehn Thesen definiert: Grüne Marktwirtschaft ist charakterisiert durch Wettbewerb in offenen Märkten, schafft Arbeitsplätze in neuen Märkten, investiert in hohe Ressourceneffizienz, kultiviert die drei Merkmale Toleranz, Technologien und Talente an kreativen, zukunftsfähigen Standorten, bietet jedem/r BürgerIn soziale Sicherheit durch eine bedarfsorientierte Grundsicherung, fördert und basiert auf individuellem Unternehmertum, nutzt das Potenzial von Frauen in Führungspositionen, ist in einer globalisierten Wirtschaft und offenen Gesellschaft verortet, löst die Finanzierung der Sozialversicherung von arbeitseinkommensbezogenen Beiträgen und konsolidiert die öffentlichen Finanzen.
Grüne Rahmenbedingungen für die Märkte
In dem AutorInnenpapier „Mehr Wert! Grüne Marktwirtschaft“ ist ein grundsätzlicher Ansatz zu erkennen, der den Markt nutzt, aber auch dessen Schwachstellen erkennt. Eben dort, wo Märkte versagen, nachhaltige Ergebnisse zu produzieren, entwirft Grüne Marktwirtschaft Rahmenbedingungen, Marktprozesse ökologisch und sozial zu steuern: Wo Outsider vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, organisiert sie sowohl deren Integration als auch deren Grundsicherung. Wo Märkte für externe und langfristige Umweltkosten blind sind, schafft Grüne Marktwirtschaft förderliche Bedingungen für Investitionen und Innovationen in Ressourceneffizienz. Wo Potenziale ungenutzt bleiben, erkennt Grüne Marktwirtschaft die Chancen, die in Gender & Diversity stecken. Wo Monopole den Wettbewerb unterlaufen, interveniert sie oder setzt auf Kooperationen. Wo Kaufentscheidungen falsch informiert und verzerrt sind, sorgt Verbraucherschutz für nachhaltigen Konsum.
Im Juli 2007 schließlich wurde eine Weiterentwicklung des Konzeptes von der Fraktion formell beschlossen. Der grundsätzliche Ansatz, der auf Kooperation mit innovativen Unternehmern baut, und die Themen blieben dieselben, doch viele Formulierungen wurden nun präzisiert. Das Zitat aus dem Positionspapier, das schon im Vorlauf zu der Konferenz im November 2006, die meisten Schlagzeilen produziert hatte – „Die unsichtbare Hand des Marktes wird grün“ – verwies nun darauf, dass die Rahmenbedingungen einer Marktwirtschaft so gewählt werden müssen, dass die Preise die ökologische Wahrheit sagen.
Welche Rahmenbedingungen dies sind und welche Rolle der Staat für den Markt spielen muss, wurde dezidiert aufgeführt. Zum einen wurden so Bedenken aus verschiedenen Fachbereichen berücksichtigt, zum anderen konnte ausgearbeitet werden, wie und unter welchen politischen Rahmenbedingungen der Markt ein Instrument nachhaltiger Entwicklung sein kann. Der Fraktionsbeschluss stellte klar, dass Grüne Marktwirtschaft einen Transformationsprozess der ökologischen Modernisierung, der sozialen Sicherungssysteme und zu einer wissensbasierten Ökonomie bezeichnet und definierte sie über ihre Bedeutung für die Zukunft: „Grüne Marktwirtschaft versucht, die Zukunft zum Gegenstand der heutigen Politik zu machen. Das ist ein Gebot der Generationengerechtigkeit, die uns verbietet, unseren heutigen Wohlstand zu Lasten künftiger Generationen zu erzielen.“
Fast zeitgleich mit dem Fraktionsbeschluss wurde eine Artikelsammlung von der Partei mit Beiträgen von unterschiedlichen AutorInnen zu den verschiedensten Aspekten der Grünen Marktwirtschaft herausgegeben. Darin analysiert etwa Michael Heise, Chefvolkswirt der Dresdner Bank und Allianz-Gruppe, die verschiedenen Teilbereiche Grüner Marktwirtschaft und erkennt deren Orientierung an Wettbewerb und offenen Märkten an, äußert aber auch Kritik dort, wo er Inkonsistenzen entdeckt. Reinhard Loske setzt sich mit der Wachstumskritik der Umweltbewegung auseinander und befürwortet einen neuen Dritten Weg, der Wachstum und Umweltverbrauch entkoppelt.
Die Akteure der Grünen Marktwirtschaft
Nur wenig später im Oktober 2007 stellte die Heinrich-Böll-Stiftung ebenfalls eine Beitragssammlung zusammen, in der Akteure, Strategien und Instrumente einer Transformation zu einer Nachhaltigen Marktwirtschaft aus nationalem wie internationalem Kontext vorgestellt wurden. In ihrem Beitrag arbeiten Ralf Fücks und Kristina Steenbock die Parallelen der Transformation des Kapitalismus zur sozialen Marktwirtschaft im 19. Jahrhundert zur ökologischen Modernisierung der Marktwirtschaft im ausgehenden 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts heraus. Sie heben insbesondere die bedeutsame Rolle verschiedener Akteure und Akteurskonstellationen des Transformationsprozesses hervor: „Investoren, die auf die mittel- und langfristige Stabilität ihres Anlagekapitals angewiesen sind, wie zum Beispiel die großen Pensionsfonds in den USA, beziehen zunehmend klimarelevante, ökologische und soziale Kriterien in ihre Entscheidungen ein. Sie erhöhen damit den Druck auf Unternehmen, sich diesen Fragen zu stellen. Auch die großen Rückversicherer sind zu Verbündeten im Kampf gegen die Erderwärmung geworden, weil die Hurrikan-Schäden astronomische Größenordnungen angenommen haben.“
Aber auch strategische Allianzen von Unternehmen und NGOs spielen eine wichtige Rolle. Sie regulieren Märkte kooperativ, gerade da wo staatliche Regulierung wegen fehlender internationaler Übereinstimmung nicht greift. Deshalb müssen politisch gesetzte Rahmenbedingungen die Unternehmen und Verbraucher unterstützen, die zu Protagonisten im Transformationsprozess zur Grünen Marktwirtschaft werden. Zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen kommt Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, der an anderer Stelle auch schon die Herausforderung des Klimawandels mit der der sozialen Frage im 19. Jahrhundert verglichen hatte.
Welch Bedeutung bzw. welche Größenordnung diese Transformation wird haben müssen, verdeutlicht der Beitrag von Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, mit seinem Vergleich mit der Kopernikanischen Wende.
Im November 2007 schließlich setzte die Partei auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Nürnberg das Konzept in einen Parteibeschluss um. Und wieder wurde das Konzept um einen zentralen Aspekt erweitert. Neben den Entwicklungschancen, die eine Grüne Marktwirtschaft insbesondere unternehmerischen Individuen bietet, muss sie auch für alle Individuen eine soziale Absicherung gewährleisten.
Nur soziale Marktwirtschaft ist Grüne Marktwirtschaft.
Sie ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die Gerechtigkeit im nationalen und internationalen Rahmen zum Ziel hat.“ Dabei umfasst der Begriff Gerechtigkeit verschiedene Aspekte: bedarfsgerechte Teilhabe- und Zugangschancen sowie Geschlechtergerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und internationale Gerechtigkeit. Doch betrifft die Forderung nach Gerechtigkeit insbesondere Bereiche, in denen der Markt für soziale und ökologische Interessen blind ist und versagt, das Allgemeininteresse mit individuellen Eigeninteressen überein zu bringen. „Es ist die Aufgabe des Staates bzw. der Staatengemeinschaft, dafür zu sorgen, Marktversagen zu verhindern bzw. dann einzugreifen, wenn Marktversagen vorliegt.“ Grüne Marktwirtschaft will diese Versagen überwinden und fragt daher nach den Rahmenbedingungen, die die funktionierenden Märkte der Zukunft brauchen.